Kwas – квас

Der Kwas oder Kwaß (veraltet auch Quas, russisch квас) ist ein ostslawisches Getränk, welches durch Gärung aus altbackenem Brot hergestellt wird. Kwas ist heute überwiegend in Russland, Weißrussland, Polen und der Ukraine, aber auch in anderen Ländern Ost- und Mitteleuropas, im Baltikum sowie im Kaukasus verbreitet.

Obwohl meist aus Brot oder Zwieback hergestellt, gibt es auch andere Rezepturen, zum Beispiel Kwas aus Birnen, Beeren oder anderen Früchten. Das Wort Kwas wurde erstmals urkundlich im Jahr 989 erwähnt und bedeutet so viel wie „saurer Trank“ oder „Gegorenes“, da Kwas einen leicht säuerlichen Geschmack hat. Etymologisch stammt es von derselben indogermanischen Wurzel wie das deutsche Wort Käse. Das russische Verb „kvasit’“ (квасить) bedeutet „säuern“, „einsäuern“.

Grundsätzlich benötigt man zur Herstellung von Kwas altes Brot oder Malz, Roggenmehl oder altbackenes Roggenbrot, es funktioniert aber auch mit jedem anderen altbackenem Brot, sowie Sauerteig. Um den Kohlensäuregehalt zu erhöhen, kann man zusätzlich Honig beimengen. Je nach Kwas-Sorte werden außerdem Aromastoffe wie Minze, Johannisbeere, Rosinen etc. bei der Erzeugung verwendet. Bei der Hausherstellung kann es durch unsaubere Führung beim Gärprozess leicht zu einer Fehlgärung kommen.

Farbe und Geschmack von Kwas sind mit Malzbier vergleichbar, allerdings ist Kwas nicht so süß. Er besitzt dafür einen leichten Zitronengeschmack, der an Radler erinnert. Der Geruch erinnert an frisches Brot. Er bildet beim Einschenken eine Schaumkrone. Kwas enthält in der Regel 0,05–1,2 Prozent Alkohol und hat, bedingt durch Milchsäurebakterien, eine verdauungsfördernde Wirkung. Der Milchsäuregehalt beträgt rund 0,18–0,48 Prozent.

Nicht umsonst gehört Kwas in Russland seit Jahrhunderten zu den beliebtesten Erfrischungsgetränken. Er fördert die Verdauung, ist gut für den Stoffwechsel und das Herz-Kreislaufsystem, wirkt antibakteriell und sorgt für allgemein besseres Befinden. Seine heilende Kraft führt man auf die im Kwas enthaltenen Vitamine, freie Aminosäuren, Mikroelementen und Milchsäure zurück.

Früher hat in Osteuropa so gut wie jeder seinen eigenen Kwas gemacht. Mönche, Bauern, Ärzte, Adlige und sogar Soldaten haben uns eine unzählige Menge an Rezepten hinterlassen. Damals hat man jedes saure Getränk Kwas genannt. Gebraut wurde es aus Früchten, Beeren, Honig mit Gewürzen und Kräutern, und natürlich auch aus Brot. Wer heute das Wort Kwas hört, denkt vor allem an einen Brottrunk mit süß-saurem Geschmack und Brotaroma. In Russland gibt es heute in Flaschen abgepackten Kwas in vielen Geschäften zu kaufen. Doch selbst gemacht, schmeckt er ganz anders. Einfach ausprobieren!

Mythologischer Ausflug
Kvasir war in der nordischen Mythologie ein Weiser, der durch den Speichel der Göttergeschlechter, der Asen und der Wanen, entstand. Nachdem der Asen-Wanen-Krieg beendet war, spuckten die Asen und Wanen zur Versöhnung in ein Gefäß und die Asen formten aus der Masse einen Zwerg, den sie Kvasir nannten.

Als magisches, mit „Macht“ geladenes Mittel spielt der Speichel in primitiver Religion, wie auch noch im Volksbrauch der Gegenwart, eine große Rolle. Zur Vorbereitung des Gärprozesses brachen die Menschen die Stärke der Getreidekörner durch Zerkauen auf. Dabei spalten Amylasen des Speichels (Speichel-Amylase) die langkettigen Polysaccharide in kurzkettigen Zucker. Aus heutiger Sicht ein rohes Verfahren, doch wichtig für die Kulturgeschichte alkoholischer Getränke. Denn nicht der Konsum von Ethanol war vor etwa 9.000 Jahren das Phänomen, sondern seine gezielte Herstellung. Als natürlich vorkommendes Rauschmittel ist Alkohol älter als die Geschichte des modernen Menschen. Bis heute schätzen viele Tiere die berauschende Wirkung von überreifem, vergorenem Obst, dessen Zucker von wilden Hefen umgewandelt worden ist.

Noch heute wird in den Anden auf diese Art ein bierartiges Getränk hergestellt. Es werden dafür aus Maismehl gebackene Fladen durchgekaut, also mit viel Speichel durchtränkt und in einen Topf gespuckt (Chicha). Die Stärke wird durch im Speichel vorhandene Enzyme schnell in Zucker verwandelt, dessen Lösung dann leicht in Gärung übergeht.

Zurück zu Kvasir, dieser ging der Überlieferung nach als hochberühmter Weiser durch die Lande, ein jeder schenkte ihm, begierig nach seinem Wissen, sein Ohr. Der isländische Skalde Snorri Sturloson bezeichnet Kvasir als den weisesten aller Asen und nennt er ihn den klügsten der Wanen. Ursprünglich war Kvasir die Bezeichnung für den aus Beeren gewonnenen, gegorenen Saft. Später wurde Kvasir von den Zwergen Fjalar und Galar erschlagen, die es nach einer Weisheit gelüstete. Sie mischten sein Blut mit Honig und brauten so den Met Odrörir, das Elixier der Dichtkunst, der Skaldenmet. Jeder, der von diesem Skaldenmet (Skalde: altnordisch skáld oder skæld „Dichter“) trinkt, wird ein Weiser und Dichter.

Was bringt die skandinavische Tradition mit der Osteuropäischen Tradition zusammen? Der Nestorchronik zufolge riefen die miteinander verfeindeten Stämme der Ilmenslawen (Slowenen), Kriwitschen, Tschuden und Wes einen Edelmann namens Rjurik und seine Brüder Truwor und Sineus „von der anderen Seite des Meeres“, um ihre Fürsten zu sein. Durch ihre neutrale Herkunft erwartete man dauerhaften Frieden. Rjurik begann im Jahr 862 in Nowgorod zu herrschen, seine Brüder jeweils in Isborsk und Beloosero. Rjurik wurde zum Begründer der Rurikiden-Dynastie, die Russland bis ins Jahr 1598 (bzw. bis 1610 als Seitenzweig Schuiski) regieren sollte. So verbindet sich die Tradition beider Kulturen. Nicht umsonst werden im Russischen das Wort für die Zahl „1“ und der Name des Gottes Odin gleich geschrieben „один“ – der Eine.

Odin mit den Raben Hugin und Munin, Illustration von Ólafur Brynjúlfsson